Alois Brandstetter: Groß in Fahrt

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Alois Brandstetter zählt zu den bekanntesten österreichischen Autoren. Mit Sprache zu arbeiten ist nicht nur sein Beruf – er ist Universitätsprofessor für Deutsche Philologie an der Uni Klagenfurt – sondern auch seine Berufung. „Groß in Fahrt“ (erschienen 1998) hat die Wörter, ihre Herkunft und Bedeutung, zum Thema, was zum einen den Roman fast schon zu einem Bildungswerk macht, zum anderen jedoch – aufgrund der dadurch vernachlässigten Handlung – auf Dauer eher mühsam zu lesen ist und wohl mehr die Wortklauber unter euch glücklich macht. Der Ich-Erzähler, ein pensionierter Lehrer für Griechisch, erzählt von seinem Bruder Franz, der beruflich vom Chauffeur für Promis zum Fahrer für das Roten Kreuz umgesattelt hat. Und da der Bruder viel unterwegs ist, hat er auch viel zu erzählen und erheitert mit seinen Geschichten seine Verwandten.

Wenn man – so wie ich – nun tolle Geschichten aus dem Alltagsleben eines Autofahrers und seinen Kunden erwartet, wird man enttäuscht werden. Die Begebenheiten des Bruders spielen nur am Anfang und am Ende des Buches eine Rolle, primär räsoniert der Ich-Erzähler über alles, was auch nur im weitesten Sinne über das Fahren zu tun hat und kommt hier vom Hundertste ins Tausendste. Ein Wort ergibt das andere, ein Satz dient zur Überleitung zum nächsten Gedanken und schon sieht sich der Leser inmitten philosophischer und moralischer Ausführungen, die weder mit dem Bruder noch mit seinen Alltagsabenteuern zu tun haben.

„Ein besonderes Tabu ist früher der Selbstmord gewesen. Und bevor die Kirche umzudenken begonnen hat und dieses Ende eben als einen Tod, als das Ende einer Krankheit zum Tode, begreifen gelernt und zu akzeptieren begonnen hat, sind vor allem auch die Angehörigen eines freiwillig aus dem Leben Geschiedenen – freiwillig-unfreiwillig, müssen wir eigentlich nach den Erkenntnissen der Medizin und der neuen Suizidforschungen sagen – unter besonderen Druck geraten und in vielfache Schwierigkeiten gebracht worden. Da ist man natürlich auch froh und dankbar gewesen, wenn der Bestatter die etwaigen Spuren des Freitodes am aufgebahrten Leichnam gnädig weggeschminkt, das Würgemal des Strickes am Hals hinter der Draperie des Kopfkissens oder die vom Einschuß perforierte Kopfhaut an der Schläfe durch eine Binde zum Verschwinden gebracht hat. So hat man auf diesem Wege wieder etwas in Ordnung gebracht, was letztlich nicht Ordnung war. […] Die sogenannte „schöne Leich“ ist wirklich und buchstäblich eine Norm- und Zielvorstellung gewesen, der sich das Bestattungsgewerbe verpflichtet gewußt hat. Wo lassen bestatten? war eine geläufige Frage, ganz ähnlich wie: Wo lassen schneidern? oder Wo lassen waschen?“

So geht’s im Plauderton quer durch das Gemüsebeet dahin und zwischendurch werden dem Leser vom wortklaubenden Ich-Erzähler auf – zugegebenermaßen – spitzfindige Weise mit einem Schuß Ironie Wort- und Sprachspiele präsentiert, die bemerkens- und staunenswert sind.