Sue Townsend: Downing Street No. 10

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Wer als Nicht-Brite etwas über die Tony Blair-Zeit mitbekommen hat, wird seine Freude an diesem Roman-Spektakel haben. Mit viel schwarzem Humor geht die Autorin an die Geschichte über den – more or less – fiktiven Prime Minister Edward Clare an und nichts ist ihr dabei heilig (dass sich Clare auf Blair reimt, ist nur eine Anspielung!).

Nachdem Edward im Parlament ins Fettnäpfchen getreten ist, muss er untertauchen. Getarnt mit blonder Perücke und High-Heels reist er inkongnito durch sein England, um es endlich kennen zu lernen. Eine englisch-politische Travestie-Show. In der letzten Zeit läuft beim Prime Minister so ziemlich alles schief: von der Presse verarscht, von der Opposition verlacht und von den eigenen Kindern nicht ernst genommen. Und dann muß er sich noch den Vorwurf gefallen lassen, die Regierung sei zu weit vom Volk entfernt. Zugleich ist er mit fallenden Umfragewerten der „New Labour“ konfrontiert. Da kann einem die Lust auf’s Regierung ordentlich vergehen. Sein Fauxpas im Parlament ist der überzählige Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt: Edward muß weg von der Bildfläche. Und so verläßt Edward, zusammen mit dem Wachmeister Jack Sprat, die Downing Street No. 10 durch die Hintertür – geschminkt, mit Perücke und einem Kaschmir-Rollkragenpulli seiner Frau. Die beiden werden von den Beratern auf eine Rundreise durch Großbritannien geschickt.

Jack Sprat hat’s nicht leicht als Kindermädchen für einen neurotischen Kerl, der anfängt, sich immer wohler in Frauenkleider zu fühlen und sich als „Edwina“ vorstellt. Nicht allein, dass er den Premier immer wieder aus krotesken Situationen heraus manövrieren und sich der Frage stellen muß, ob waxen oder rasieren besser für glatte Beine sei, hat er sich auch noch mit internen Familienproblemen herum zu schlagen. Seiner Mutter, die sich immer mehr gehen läßt und sich am Rande der Verwahrlosung befindet, organisiert er noch eine männliche Putze, die sich jedoch später als Drogendealer entpuppt.

Parallel zur Geschichte von Jacks Mutter verläuft die Reise durch Schottland und England mit Edwina. Die Autorin läßt hier nichts aus, was ihr im Rahmen eines Nachhilfekurses für Politiker wichtig erscheint. Das Sozialwesen wird ebenso durch den Kakao gezogen wie das Gesundheits- und Transportwesen. Und so sieht sich Edwina mit stundenlangen Wartezeiten am Flughafen, stinkenden Zügen, Obdach- und Arbeitslosen konfrontiert. Als er noch dazu einen vermeintlichen Herzinfarkt erleidet, bekommt er die staatliche Behandlung in einem Krankenhaus am eigenen Leibe zu spüren.

Zur gleichen Zeit sägen seine politischen Kollegen – allen voran Malcolm Black (alias Gordon Brown) – nicht nur an Edwards Sessel sondern feilen auch an einem neuen Namen für die Partei „New Labour“, wobei es zu entscheiden gilt, welche Zielgruppe besonders angesprochen werden soll.

„Alexander meinte: „Die Party Party“. Er stellte sich die Worte als Slogans auf Reklametafeln und Postern vor, die Papierschlangen und Luftballons behängt waren. Der Name konnte dem Schmähwort „Champagnersozialist“ einen Anstrich von Ehrbarkeit verleihen. Andererseits war das ganze natürlich komplett hirnrissig.

Malcolm Black stieß ein geringschätziges Lachen hervor, das mehr nach einem Bellen klang. „Die Party Party – so gut, dass wir sie doppelt benannt haben.“

„Es würde auf jeden fall die Jugend ansprechen, meinen Sie nicht?“ Samuelson hatte sein Fingerdach eingerissen und massierte sich nun abwechselnd jeden Finger einzeln.

„Ich würde keine Partei anführen wollen, die es für nötig hält, eine Wortwiederholung in einen Namen einzubauen, der aus genau zwei Worten besteht“, sagt Malcolm Black. „Im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung der Zukunft, nämlich dass wir alle länger leben werden, sollten wir vielleicht ohnehin lieber die Alten ansprechen. Ich persönlich würde es vorziehen, wenn wir uns Old Labour nennen.“

Der Autorin ist mit diesem Roman eine bissig-böse Satire über England und seiner Regierung gelungen, zumindest aus meiner – kontinentalen – Sichtweise. Die Geschichte ist witzig, skuril und mit überzeichneten Wahrheiten versehen. Sue Townsend wurde übrigens in den 80ern mit den genialen Geschichten über den pubertierenden Adrian Mole („The Secret Diary of Adrian Mole Aged 13 ¾“ und „The Growing Pains of Adrian Mole“) bekannt.