Sarah-Kate Lynch: Ein gewisses Prickeln

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Ein gewisses Prickeln

Mal wieder Lust auf etwas wirklich Nettes, auf ein Buch, das man auch ohne Hirnschmalz lesen kann? Sind wir noch mal ehrlich: Ab und zu ist es einfach fein, wenn man nicht jeden Satz hochkonzentriert lesen muss. Obwohl sich der im Titel versprochene Prickelfaktor in Grenzen hält (es gibt keine erotischen Szenen), hat die Geschichte einen widerborstigen Charme. Und das hauptsächlich durch die drei Protagonistinnen, die soviel gemeinsam haben wie das Fahrrad mit dem Fisch und … einem iPod. Und wohl auch weil sie in Frankreich spielt und mit dem schönsten Gold, was dieses Land zu bieten hat, zu tun hat: dem Champagner. Clémentine hat die 40 schon überschritten. Zusammen mit ihrem verschrobenen und versoffenen Vater bewirtschaftet sie mehr schlecht als recht die familiäre Champagner-Kellerei.

Die Katastrophe beginnt mit dem tödlichen Unfall des Vaters. Clementine findet bald heraus, dass die Kellerei bankrott ist. Noch dazu wird ihr vom Anwalt bei der Testamentseröffnung erklärt, dass sie das Gut mit ihren Halbschwestern teilen muss. Und bevor Clémentine ihre Wut und Frustration freien Lauf lassen kann, steht auch schon die verwöhnte und selbstsüchtige Mathilde vor der Tür. Und ihr folgt schon bald die junge arbeitslose Sophie, die froh ist, endlich ein Dach über den Kopf zu haben. Da jede der Schwestern auf den heruntergekommenen Hof angewiesen ist, sind sie gezwungen miteinander auszukommen. Was natürlich nicht leicht ist. Vor allem, wenn das Geld ausgeht.

Eine weitere Tür wurde geöffnet und dieses Mal laut zugeknallt. „Nun sieh mal einer an“, schnurrte eine samtige Frauenstimme. „Was haben wir denn da? Nach alle den Jahren siehst du immer noch aus wie etwas, was die Katze ins Haus geschleppt hat, Clémentine.“
Clémentine gefror das Blut in den Adern. Sie hörte auf, sich den Staub abzuwischen, und ihre Hände sanken nutzlos an ihren Seiten herab. Das war doch wohl nicht …? Nein, das war unmöglich. Sie träumte. Aber diese Stimme, dieser Ton, die Anspannung, die knisternd in der Luft zwischen ihnen schwant … Sie spähte durch die herabsinkende Staubwolke und betrachtete verblüfft blinzelnd diese geradezu überirdisch kultivierte Erscheinung, die vom Auto weggetreten war und daneben Stellung bezogen hatte: eine hochgewachsene, klapperdürre Blondine, die karamellfarbene Stilettos und einen cremefarbenen Trench-Coat trug, den sie in der schmalen Taille festgegurtet hatte. Die Frau hatte die Arme vor dem Körper verschränkt, ihre rot lackierten Nägel schimmerten. Ihre geschminkten Lippen waren zu einem perfekten verächtlichen Lächeln verzogen.
Kein Zweifel. „Mathilde!“, stieß Clémentine hervor. Sie hatte Mathilde seit achtzehn Jahren nicht mehr gesehen; nicht, seitdem dieses elende Miststück ihr Leben so gründlich ruiniert hatte, dass sie gar nicht darüber nachdenken mochte. Inzwischen war Haut über diese Wunden gewachsen und hatte sich zu Narben verhörtet, doch nun hatte Clémentine das Gefühl, als rissen sie genau in den alten Stellen wieder auf, als wären ihre Verletzungen ganz frisch und keine zwei Jahrzehnte alt. „Was immer du willst“, schrie sie, „du kriegst es nicht. Verschwinde!“
„Jesus, was in aller Welt ist das?“ Mathilde ignorierte sie und wies mit einem eleganten Finger auch Cochon [ein kleines Schwein], der neben seiner Besitzerin im Staub scharrte. „Monsieur Paillard, Sie hatte gar nicht erwähnt, dass sie Junge gekriegt hat.“