Irvine Welsh: Klebstoff

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Schlag keine Mächen. Verpfeif niemals einen Freund. Oder besser: Back up your mates, don’t hit women and, most important, never snitch – on anyone. Nach diesem Motto leben Gally, Terry, Carl und Billy in einer Edinburgher Arbeitersiedlung. Mit Sex, Drugs, Alcohol und Football könnte man die Lebensinhalte der Clique ebenso umschreiben. „Klebstoff“ ist kein Stoff für zart beseitete Seelen: Mit viel schwarzem Humor und noch viel mehr Sprache, die einem die Schamesröte ins Gesicht treibt, erzählt der Schotte Irvine Welsh von fehlenden Perspektiven, Egoismus, Sucht und dem zum Trotz auch von Freundschaft. Das Buch beginnt mit den Anfängen der 70er: Terry hat sein ersten Schultag und Gallys Vater kommt in den Knast. Die weiteren Kapitel beschreiben was die Jungs 1980, 1990, 2000 (so ungefähr) und 2002 treiben. Aus Kindern werden Männer: Terry, ein schleimiger Aufreisser und kleiner Ganove, lebt mit 30 noch bei seiner Mutter. Billy wird Boxer und Lokalbetreiber. Carl, der Introvertierte, der als DJ Karriere macht und an seiner Drogensucht fast zebricht. Und Gally, der wegen dem Ehrenkodex der Freunschaft in den Knast geht und dessen Schicksal tragisch endet.

Durch ihn finden die anderen, die sich selbst durch ihre Gier nach Sex, Drogen, Gewalt entzweit haben, wieder zueinander. Nach Gallys Selbstmord begreift Carl seine Freundschaft zu den anderen Burschen:

Durch ihn lernen wir alle, was Verlust bedeutet.
Wenn er sich selbst nur so geliebt hätte wie den Rest der Welt. Er ist tot und darum leichter zu lieben als Terry oder Billy. Ich mag sie trotzdem noch; zu sehr sogar, um zuzulassen, dass sie in meine Nähe kommen und meine Gefühle für sie kaputtmachen. Mir gefällt die Vorstellung, die ich von ihnen hab. Aber wir können nie das zurückholen, was wir mal hatten; das ist alles vorbei: die Unschuld, das Bier, die Pillen, die Vereinsfahnen, die Reisen, die Siedlung… das ist alles so weit weg von mir.
Wie ging nochmal der Bowie-Refrain, den wir gesampled haben: Draw the blinds on yesterday….
Der Bus ins Stadtzentrum rein. Ich bin im Arsch. Genau gesagt, mehr als im Arsch. Manchmal glaub ich, ich seh mit den Ohren statt mit den Augen. Busbahnhof Buchanan Street.

„Klebstoff“ spannt den Bogen von Punk zu Techno, von Tüten, Ecstasy-Tabletten bis zu Kokain, vom ersten Sex, Schlägereien im Fußball-Stadion bis zum Müncher Oktoberfest und endet – trotz Frustration und Trostlosigkeit – optimistisch, was die Zukunft der von Terry, Billy und Carl betrifft.

Der Roman ist in der Alltagssprache der Protagonisten geschrieben, die Erzählperspektive wechselt: so werden Begebenheiten aus mehreren Blickwinkel erfasst und es wird kein Blatt vor dem Mund genommen. Das macht zum einen das Buch lebhaft und authentisch, zum anderen sind die damit einhergehenden Wortwiederholungen ermüdend. Schon allein das Wort „Fotze“ wird gnadenlos inflationär verwendet, was den Lesegenuß strapaziert. Am liebsten möchte man den Burschen ein Thesaurus-Lexikon in die Hand drücken. Der Leser wird jedoch mit Beschreibungen skurillster Szenen entschädigt (der erste Sex, Terrys Einbruch).

Genial Schottisch: Wer’s im Original-Ton hören möchte: Irivine Welsh himself liest die Passage, in der Terry – als Fensterputzer tätig – ein Hotelzimmer einer berühmten amerikanischen Sängerin betritt und ihr Club Sandwich isst. (7,1 mb)