Stephen King & Stewart O’Nan: Ein Gesicht in der Menge

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Nach dem Tod seiner Frau ist die Luft aus Deans Leben raus. Er vertreibt sich die Zeit hauptsächlich mit Alkohol, Tabletten und Fernsehen. Am liebsten sieht er Baseball. Bei einem Spiel der Tampa Bay Rays gegen die Mariners sieht Dean am Bildschirm plötzlich seinen alten Zahnarzt auf der Tribüne sitzen. Eigentlich müsste der doch schon lange tot sein! Am nächsten Tag sitzt Dean wieder vor dem Fernseher und schaut sich ein Spiel an. Dieses Mal ist es Deans alter Geschäftspartner Lennie Wheeler, der im Publikum sitzt. Er trägt denselben Anzug, in dem er auch beerdigt wurde.

„Lennie Wheeler ist so tot wie Jacob Marley. Ich war auf seiner Beerdigung.“

Deans Schreckgespenst aus der Kindheit und der Geschäftspartner sind nicht die einzigen Toten, die er im Fernseher sieht. Beim nächsten Baseballspiel im TV entdeckt Dean den spindeldürren Lester Embree, ein alter Bekannter aus der Schulzeit. Damals war Lester für Dean und seine Kumpel eine willkommene Zielscheibe zum Schikanieren und Drangsalieren. Mit neun Jahren ertrank der Junge, den alle nur Soup nannten, auf unerklärliche Weise in einem Teich.

Dean schaltet den Fernseher ab und geht ins Bett. An Schlaf ist gar nicht zu denken. Erst ein Alkohol-Tabletten-Cocktail beendet die unerwünschte Reise in die Vergangenheit. Am Tag darauf – Dean Evers will sich eigentlich von seinen Gedanken mit einem Taschenbuch ablenken – sieht er im Fernseher seine tote Frau Elli, in Großaufnahme. Er beobachtet, wie sie gar nicht auf das Spiel achtet und sich stattdessen auf ihr Handy konzentriert.

Für einen flüchtigen Augenblick fragte sich Evers, wem sie wohl eine SMS schrieb – jemandem hier oder irgendwem im Jenseits? -, als plötzlich in seiner Tasche das Handy summte.
Sie hielt das Handy ans Ohr und winkte ihm kurz.
Mit den Lippen formte sie die Worte Heb ab und deutete auf ihr Handy.

A Christmas Carol in der Major League Baseball-Saison

„Ein Gesicht in der Menge“ ist eine stringente und schnörkellose Kurzgeschichte über einen Mann, der am Ende seines Lebens mit seinen persönlichen Geistern konfrontiert wird. Der Plot ist nicht das einzige, was an Dickens erinnert. Wie auch Ebenezer Scrooge, ist Dean Evers ein wohlhabender Mann und höchst gradig unsympathisch. Im Laufe der Geschichte erfahren wir von seiner Grausamkeit, Untreue und wie er andere im Lauf seines Lebens manipuliert hat. Doch im Gegensatz zu Scrooge ist Dean ein schwacher, fast erbarmungswürdiger Charakter, der seit dem Tod seiner Frau nicht mehr viel Sinn im Leben findet.

Auf 59 Seiten erwartet euch eine gut geschriebene und schnell gelesene Geschichte mit ein paar Überraschungen. Und auch nach der Lektüre wird euch das Gelesene noch beschäftigen. King und O’Nan haben mit ihrem Gemeinschaftswerk den alten Scrooge in die Moderne geführt.