Markus Zusak: Die Bücherdiebin

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Für ein Buch mag es nicht unbedingt von Vorteil sein, wenn der Tod als Erzähler auftritt. Denn welche Geschichte kann uns erwarten, wenn es der Sensenmann höchstpersönlich ist, der sie erzählt? Im besten Fall morbider Humor, im schlimmsten unerträgliches Leid (ausgehend davon, dass uns die Literatur die verschiedensten Formen des Schnitters auftischt und wir ihm nicht einmal in der unausweichlichen, letzten Sekunde unseres Lebens so wirklich begegnen wollen)?

Gebt dem Tod eine Chance – auch wenn ihr dann mit der einen oder anderen Träne kämpfen müsst! Lest seine Geschichte über das Mädchen Liesel …

„Ich habe keine Sense.

Ich trage nur dann einen schwarzen Kapuzenmantel, wenn es kalt ist.

Ich habe auch kein Totenschädelgesicht,

dass ihr mir so gerne andichtet.

Wollt ihr wissen, wie ich wirklich aussehe?

Ich sage es euch. Schaut in den Spiegel.“

Jänner 1939: Liesel ist neun Jahre alt, als sie zusammen mit ihrer kranken Mutter (und Frau eines Kommunisten) und ihrem jüngeren Bruder im Zug nach München sitzt. Während der Zugfahrt sieht sie zu, wie ihr Bruder stirbt. An der nächsten Haltestelle steigen sie aus und in diesem Dorf wird auch ihr Bruder zwei Tage später beigesetzt. Als einem der Totengräber während des Begräbnisses ein schwarzes Buch aus der Manteltasche fällt, beginnt die Karriere von Liesel als Bücherdiebin. Mutter und Tochter setzen danach die Reise nach München fort – denn dort wird Liesel an eine Pflegefamilie übergeben.

Liesel landet bei den Hubermanns, die in einem kleinen Haus in Molching, Nähe München, wohnen. Rosa, die Pflegemutter, ist grobschlächtig und maßlos, was das Fluchen und Wüten anbelangt:

„Saumensch, du dreckiges!“, schrie Liesels Pflegemutter an jenem ersten Abend, als das Mädchen sich weigerte, ein Bad zu nehmen. „Du dreckiges Schwein! Warum willst du dich nicht ausziehen?“

Hans, ihr Mann, ist das ganze Gegenteil zur massigen, derben Frau: Mit seiner sanften Art gewinnt der Anstreicher und Akkordeonspieler Liesels Herz auf Anhieb.

„Als er an jenem Abend das Licht in dem kleinen, lieblos wirkenden Badezimmer einschaltete, betrachtete Liesel die außergewöhnlichen Augen ihres Pflegevaters. Sie waren aus Freundlichkeit gemacht und aus Silber. Weiches Silber, schmelzend. Liesel sah diese Augen und begriff, dass Hans Hubermann sogar eine ganze Menge wert war.“

Liesel beginnt sich in Molching einzugewöhnen, was ihr gerade zu Beginn nicht leicht fällt. Von Rosa wird das kleine Mädchen herumkommandiert und mit den Kochlöffel erzogen, in der Schule muss sie bei den Erstklässlern sitzen, weil sie noch nicht lesen kann und in der Nachbarschaft muss sie sich erst ihren Platz unter den Kindern erkämpfen. Nur ihr Pflegevater, mit dem sie mühsam in den Nachtstunden mit Hilfe des Totengräberbuches das Lesen erlernt und die Freundschaft zum gleichaltrigen Rudi geben ihr liebevolle Momente – während der zweite Weltkrieg seine tödlichen Spuren durch das Land zieht.

„Man könnte behaupten, dass Liesel Meminger es leicht hatte. Das stimmte auch, verglichen mit Max Vandenburg. Sicher, ihr Bruder war in ihren Armen gestorben. Ihre Mutter hatte sie verlassen.

Aber alles war besser, als Jude zu sein.“

Liesel wächst heran und der Tod tritt dabei als Beobachter auf. Liesels Geschichte wird flankiert von Hans Hubermanns Widerwillen in die NSDAP einzutreten und welche Konsequenzen er dadurch zu tragen hat und Rosas charakterliche Wandlung, als die beiden den Juden Max in ihrem Keller verstecken. Es ist ebenfalls die Geschichte von den Bewohnern des Dorfes Molching und wie sie ihr Schicksal zwischen Hitlerjugend, Judenverfolgung, Armut und Luftangriffen bewältigen.

Dem australischen Autor mit deutschen Wurzeln ist mit diesem Buch, das er eigentlich für Jugendliche geschrieben hat, wirklich etwas Bemerkenswertes gelungen. Er geht – inspiriert durch Erlebnisse seiner Eltern während des 2. Weltkriegs – ein komplexes Thema auf eine kompromisslose und eindringliche Art und Weise heran, in dem er einen menschlichen Tod als Erzähler auftreten lässt. Die sehr poetisch geschriebene Geschichte erhält dadurch eine noch dramatischere und mitfühlende Note. „Die Bücherdiebin“ ist nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2009.