Philippe Bertrand: Patacloc – Das Geheimnis von Berlin

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Patacloc - Das Geheimnis von Berlin

Wenn sich mal die Menschheit selbst auslöscht, dann werden es die Kakerlaken, Asseln und Termiten sein, die dann die Welt bevölkern werden. Dieses Szenario hat Philippe Bertrand als Thema seines kleinen Buchs gemacht.

„Der große Kladderadatsch“ nennen die Insekten den Tag, als sich die menschliche Spezies selbst ausgerottet hat und die Kerbtiere die Macht über die Erde übernommen haben. Durch die Katastrophe zu mannshohen Kreaturen mutiert, leben sie nun in den Häusern der zerstörten Städten und haben auch sonst andere humane Eigenschaften angenommen. Nun ist aber auch diese Spezies von einem Klimawandel in Form einer neuen Eiszeit bedroht. Professor Adalbert Pluto, Humanwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin, warnt eindringlich vor der Ausbeutung des Planeten und schlägt vor, das Wissen über den Homo sapiens zu vertiefen, um die eigene Gattung zu retten. Pluto macht sich mit dieser Empfehlung todbringende Feinde, denn gerade bei den Mächtigen gilt die Meinung, das Volk der Insekten steht über den Menschen.

Und so kommt für Professor Pluto letztendlich jede Hilfe zu spät: Als die französische Mücke Jeremias Patacloc seine neue Stelle als wissenschaftlicher Assistent des Professors antreten will, findet er Pluto kopfüber an einem Seil hängend mit einem roten Fleck auf der Brust und einem eingeschlagenen Schädel in seinem Büro. Es ist kein guter Start für die Mücke in Berlin: Kaum angekommen, findet sie die Leiche seines Arbeitgebers. Und es scheint, als habe sich ganz Berlin gegen Jeremias verschworen. Der Polizeiinspektor Emil Gronsch, eine dicke unwirsche Schabe, möchte die Mücke gleich ins Gefängnis werfen. Schon allein wegen Jeremias‘ Beruf als Humanwissenschaftler:

Frage: „Name?“

Antwort: „Patacloc.“

„Vorname?“

„Jeremias.“

„Beruf?“

„Forscher auf dem Gebiet der Protoliteratur.“

„Was ist das für ein Quatsch?“

„Das ist kein … Es handelt sich um Literatur, die vor unserer Ära entstanden ist, in älteren Kulturen. Ich meine weder wissenschaftliche Texte noch Philosophie im eigentliche Sinne …“

„Stop! Versuchen Sie nicht, mir das Gehirn mit ihrem Blabla zu verkleistern, junger Mann. Sie sprechen von Büchern, die von Menschen geschrieben wurden, nicht wahr?“

„So könnte man es sagen.“

[…]

„Professor Pluto war der hervorragendste Fachmann auf dem Gebiet der Humanwissenschaften. Ich sollte mit ihm die letzten Texte des Homo sapiens studieren, die vor der Katastrophe geschrieben wurden.“

„Humanwissenschaften! Pah! Was ist das für eine Hornisserei?“

„Einige Wissenschaftler meinen, dass es wichtig ist, diese Kultur zu studieren, auch wenn sie untergegangen ist.“

„Ach ja, und warum bitte?“

„diese Diskussion sprengt vielleicht den Rahmen einer polizeilichen Befragung.“

„Bis auf weiteres bestimme immer noch ich die Grenzen unserer Diskussion, Sie kleine Schmeißfliege! Mir sträuben sich allmählich die Fühler. Also antworten sie mir: Warum interessieren Sie sich für diese jämmerliche Gattung Mensch?“

„Ich würde gern verstehen, warum sie untergegangen ist. Aber auch …“

„Stop! Haben sie die Antwort dieser Person mitgeschrieben, Fräulein Hoffmann? Das ist sehr aufschlussreich, nicht wahr? Man denkt, man hat alles schon einmal gehört in unserem Beruf. Aber nein, es gibt immer wieder etwas Neues! Ich persönlich sehe nicht ein, wozu es gut sein soll, seine Zeit mit dem Studium dieser dreckigen Brut zu verplempern. Vermutlich haben Sie vergessen, wer die Insektizide erfunden hat? Ich frage mich, was man euch auf der Uni beibringt. Gut, sei’s drum. Wie haben Sie Professor Pluto kennengelernt?“

„Auf einem Wissenschaftskongress in Mailand. Ich habe ihm meine Forschungsergebnisse vorgelegt, die er als stichhaltig angesehen hat. Er hat mich gebeten, zu seinem Team zu stoßen, hier an der Humboldt-Universität.“

„Ich frage Sie nicht nach dem Thema Ihrer ach so stichhaltigen Forschungen, das würde mir nur die Neuronen verschleißen. Aber es würde mich schon interessieren, wie das Thema dieses Kongresses eigentlich lautete?“

„Der Klimawandel.“

„Und das heißt?“

„Es ging um die Frage, ob wir gerade eine Umkehrung des Klimas durchmachen und ob uns das nicht zu einer neuen Eiszeit führt.“

„Fräulein Hoffman, streichen Sie diese Frage, und auch seine Antwort. Diese Mücke bringt mich ganz aus dem Konzept, mit seinem schlauen Getue.“

„Und das heißt?“

„Es ging um die Frage, ob wir gerade eine Umkehrung des Klimas durchmachen und ob uns das nicht zu einer neuen Eiszeit führt.“

Gronsch ist nicht der einzige, der Jeremias am liebsten von der Bildfläche verschwinden lassen würde. Aber die kleine Mücke findet Hilfe: In einer Bar lernt sie den Journalisten Leberecht Bulkow und seinen Freund, den Anwalt Peter, (beide sind Maikäfer) kennen. Jeremias klagt den beiden seine Not und sie beschließen, den Mord an Professor Pluto aufzuklären. Im Zuge ihrer Ermittlungen kommen sie einer unheimlichen Verschwörung auf die Spur.

Eine Erde, die ausschließlich von Insekten bewohnt wird, ist wohl für den Menschen eine grausame Vorstellung. Der Autor spinnt diese Idee nicht nur weiter, sondern projiziert menschliche Eigenschaften auf die Tiere: Der Vorstellung, die Krone der Schöpfung zu sein, mit der Umwelt so umzugehen, als hätte man keine Verantwortung für nachfolgende Generationen, die Gier nach Macht, das Verneinen wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Zuwendung zu Geheimbünden. Und dass der Roman in Berlin spielt, hat – so denke ich – ebenso seinen Grund. Philippe Bertrand hat diese Parabel über die Menschheit in ein Buch für (ältere) Kinder verpackt und mit liebevollen Zeichnungen verschönert. Ein Buch, das sich ohne weiteres in die utopische Literatur einreihen lässt.