Jörg Maurer: Niedertracht

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Kann es in einem idyllischen Kurort irgendwo in Bayern so etwas wie Niedertracht geben? Wenn es nach Jörg Maurer geht, ist genau dort der ideale Nährboden für Zwietracht, Neid, Eifersucht, Hass, Mordlust, Wut, Verzweiflung, Missgunst, Furcht, Gram, und Gier. Bereits zum dritten Mal ist nun dieser bayerische Kurort Schauplatz heimtückischer Morde. In diesem Alpenkrimi werden die Leichen hoch oben am Berg gefunden, in schwer zugänglichen Nischen, die nur mit Seil und Klettergurt erreichbar sind. Die Leichen selbst haben jedoch weder Steigeisen noch einen Karabiner bei sich. Noch seltsamer ist die Todesursache: Kachexie, was so viel wie Entkräftung, Unterkühlung und Flüssigkeitsmangel bedeutet. Keine Frage – bei solch scheinbar unerklärlichen Mordfällen muss Kommissar Jennerwein her. Zwischen Höhenangst und Almrausch begibt sich der sympathische Polizist mit seinem Team auf die Spuren eines wirklich hirnkranken Killers.

Der Kurort, das waren gestärkte und auf turboweiß gebleichte Spitzenvorhänge vor den quietschend blank geputzten Fenstern – wenn man sie nur ein Stückchen zurückzog, lauerte oft das nackte Grauen dahinter. Der Kurort, das war die unermüdliche Pflege uralter Bräuche, das waren Wadlstrumpfträger in bestens organisierten Volkstrachtenvereinen und preisgekrönten Vorgärten. Viel internationales Publikum, harmlos scheinende Treffpunkte, eine Polizei, die sich mit Handtaschendiebstählen und Bierzeltraufereien herumschlagen musste – und sich am liebsten ohnehin um die perfekte Parküberwachung kümmerte. Noch dazu waren die Flucht- und Versteckmöglichkeiten durch die unwegsame Alpenlage fast paradiesisch.

Wie schon in den Vorgängerromanen „Hochsaison“ und „Föhnlage“ lässt auch hier Jörg Maurer den Mörder selbst zu Wort kommen. So bekommt der Leser mit, dass der ortsansässige Putzi (kein Scherz) in seiner Kindheit ansehen musste, wie eine Gämse auf einem schmalen Felsvorspung festsaß und, weil sie weder vor noch zurück konnte, dort elendiglich verhungern und verdursten musste. Jeden Tag schaute Putzi nun mit dem Fernglas auf den Berg und beobachtete die Gämse beim Sterben. Seit diesem Kindheitserlebnis beschäftigt Putzi nur noch eine Frage: Was macht ein Mensch, wenn er in einer ausweglosen Situation ist.

Würde er Schluß machen und sich in die Tiefe stürzen? Oder würde er ausharren?

Doch Putzi ist nicht der einzige skurrile Charakter in dieser Geschichte. Da gibt es noch den Bergsteiger Johnny Winterholler, den man eigentlich nur mit dem Wort „windig“ beschreiben kann. Weil sich Johnny mit geregelten Arbeitszeiten so gar nicht anfreunden kann, kommt ihm ein Bergsteiger-Auftrag gerade recht: Regelmäßig muss er auf Bergtouren gehen, die ihm vorher brieflich mitgeteilt werden. Die Routen sind nicht besonders schwierig und sein Honorar liegt nach der Tour abgezählt auf dem Küchentisch. Was ihm allerdings manchmal seltsam vorkommt, sind die Stechmücken, die ihn bei seinen Wanderungen begleiten. Denn diese dürften eigentlich auf diesen Höhen nicht herumfliegen. Und weil wir gerade bei skurrilen Persönlichkeiten sind: Karl Swoboda und das Ehepaar Grasegger fehlen auch nicht in diesem Fall. Der österreichische Problemlöser wird in „Niedertracht“ von nichts Geringerem als die Mafia engagiert, um mehr über einen bayerischen Insektenforscher zu erfahren.

Jörg Maurer zieht alle Register, um sein Publikum zu unterhalten und bewegt sich dabei schon auf die Grenze zur Absurdität zu. Mit den Gesprächen am Stammtisch, den Dialogen zwischen stinkreichen Touristen, den Bestandsaufnahmen der Polizei und den vielen weiteren Nebensträngen wird das Aufmerksamkeitslevel relativ hoch gehalten und der Leser hat nicht zuletzt durch den starken Lokalkolorit einige Male den Lacher auf seiner Seite. Dadurch verliert jedoch die Haupthandlung – die grausigen Morde und ihre Aufklärung – an Bedeutung.