Irene Stratenwerth: Im wilden Osten dieser Stadt

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Mitten in der Nacht läutet bei der Anwältin Kristina Wolland das Telefon. Es ist ihre Freundin Angie, die sie verzweifelt bittet, sie in eine psychiatrische Klinik zu fahren, weil es ihr nicht gut geht. Kristina tut ihr den Gefallen. Doch kaum sind die beiden in der Klinik angekommen, will Angie auch schon wieder weg – nach Hause. Kristina, die die Situation nicht nachvollziehen kann, setzt Angie vor ihrer Wohnung ab. Am nächsten Tag findet die Polizei Angie tot an einem Badestrand eines Hamburger Sees. Es gibt keine Spuren von Gewalt und nach der Aussage einer Ärztin ist Angie an einem natürlichen Tod gestorben. Kristina glaubt weder an Selbstmord noch an einen Unfall. Und währenddessen sie in ihrer Kanzlei über den Fall grübelt, steht auch schon ein junger Russe vor ihr. Alexander erzählt der Anwältin von seiner verschwundenen Freundin, einer Ukrainerin, die sich illegal in Deutschland aufhält. Kristina beginnt auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Sie will dem Tod ihrer Freundin auf den Grund gehen und mehr über das verschwundene Mädchen erfahren. Mehr und mehr gerät sie in den Sumpf von Prostitution und Frauenhandel.

Kristina ist eine sympathische Frau, die mit sozialem Engagement ihre kleine Anwaltskanzlei in Hamburg zusammen mit ihrer Sekretärin betreibt. Sie ist keine Heldin, die nach vorne prescht und sich in jeder Situation sofort zurecht findet. Kristina ist mehr eine grüblerische Frau mit Schwächen und einigen Problemen. Ihr Freund Michel, der sich vor zwanzig Jahren bei Nacht und Nebel nach Brasilien abgesetzt hat, ist vor Kurzem bei ihr eingezogen. Die Beziehung läuft naturgemäß miserabel. Auch spürt sie, dass etwas mit ihrer Sekretärin Ceyda nicht stimmt. Zuerst erklärt sie sich die Spannung in der Kanzlei darauf, dass sich Ceyda beruflich verändern möchte. Dann hat sie den starken Verdacht, dass Ceyda und Michel ein Verhältnis haben. Und dann wird auch noch ihre psychisch kranke Freundin Angie tot aufgefunden.

Mehr aus Pflichtgefühl heraus, beginnt Kristina sich mit den Belangen des Deutschrussen Alexander auseinanderzusetzen. Als dann auch noch in Alexanders Wohnung eingebrochen wird, kommt Kristina zu dem Schluss, dass ihre beiden Fälle vielleicht zusammenhängen könnten. Und je mehr sie über den Tod ihrer Freundin und das Verschwinden der Ukrainerin erfährt, desto mehr weiß sie nicht mehr, wem sie trauen soll.

Vielleicht hatte Fredermann doch recht, und es gab Zusammenhänge, die sie bisher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte? Konnte es sein, dass auch Michel mittendrin hing in dieser merkwürdigen Verquickung von Orten, Zeiten und Menschen? Von Personen, die alle irgendwie mit dem Sexgewerbe zu tun hatten – als Opfer, als Täter, Behördenmenschen oder Sozialhelfer? Vielleicht hatte ihr Freund ja gute Gründe dafür gehabt, in Deutschland keinerlei elektronischen Fußabtritt zu hinterlassen. Kein Handy, keine EC-Karte, kein Konto in Deutschland, Nur ein Bündel Geldscheine in seiner Hosentasche.

Es ist ein brisantes Thema, das die Journalistin Irene Stratenwerth in ihrem Buch behandelt: der Handel mit Frauen aus osteuropäischen Ländern. Es ist ein Thema, das man auf literarisch-blutige Weise sehr dramatisch in Szene setzen könnte. Das aber genau hat die Autorin nicht gemacht. Mit klaren Sätzen erzählt sie die Handlung auf eher nüchterne Weise und lässt auch ihre Protagonistin nicht allzu tief in diesen menschlichen Sumpf schauen. Zum einen finde ich das positiv, da keine Sensationslust aufkommt, zum anderen wird dadurch aber auch keine Spannung erzeugt, die den Leser zum Umblättern zwingt.

Dank an den Rowohlt-Verlag für das Rezensionsexemplar.