Joseph Lemark: In der Fremde

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Nichts ist mit dolce vita in der Pension. Major Josef Vierziger, Kommissar außer Dienst, hat sich nach Apulien zurückgezogen, um den Ruhestand angemessen mit italienischem Essen, Grappa und Rotwein zu genießen. Aber der Wunsch in Ruhe und Frieden zu leben, ist zum einen ein frommer, zum anderen ziemlich scheinheilig. Denn wer eine Spürnase mit Leib und Seele ist, sollte nicht in ein Land auswandern, das untrennbar mit einer der größten Verbrecherorganisation, der Mafia, verknüpft ist. Und mit dem Klumpfuß im schönsten Stiefel der Welt bekommt es der Major schnell zu tun, als ein angeschossener Afrikaner in seiner Einfahrt liegt.

In Kolletaralschaden, dem letzten Fall als aktiver Ermittler, starb seine Freundin Conny bei einem Schusswechsel. Seit zwei Jahren lebt nun Vierziger zurückgezogen auf einem Stück Land mit zwei Trulli (apulische Rundhäuser mit spitzen Dächern), einem selbst gebauten Häuschen und dem Hund Nero. Abendspaziergänge, Besuche bei Giulia von der Bar an der Piazza und Gespräche mit seiner verstorbenen Freundin machen den Alltag aus. Zwischendurch erleben wir, wie er – à la Bruno Courrèges – mit Töpfen und Pfannen hantierend in der Küche italienische Köstlichkeiten zaubert.

No polizia, no ambulanza!

Als Vierziger, mittlerweile mit Dottore Quaranta, Commissario bzw. Pepe angesprochen, auf einem seiner Spaziergänge am Strand einen Schuss hört, ignoriert er diesen. Er weiß wohl, dass er kein Ermittler mehr ist. Als aber in der Nacht Nero anschlägt und ein Mann in der Einfahrt steht, muss er wohl nachschauen, was los ist. Es ist ein angeschossener Afrikaner, der sich vor dem Haus kaum auf den Beinen halten kann. Vierziger schleppt ihn ins Haus und organisiert einen Arzt. Bevor der Afrikaner in Ohnmacht fällt, fragt dieser nach seiner Frau. Und bittet eindrücklich weder Polizei noch die Ambulanz zu holen.

Dem Major wird jetzt klar, dass es sich erstens um einen Flüchtling aus dem Lager in der Nähe handelt. Und zweitens, dass der Schuss am Strand seiner Frau gegolten hat. Nun ist es soweit: Die Neugier ist geweckt, der Jagdhund erwacht. Der Ex-Ermittler ist auch abseits seines Berufs eine Spürnase und kann es nicht lassen, dieselbe in Angelegenheiten zu stecken, von denen sie besser fern bleiben sollte. Aber so war der Herr Major außer Dienst Dr. Josef Vierziger eben nicht konstruiert. Nachdem also der Arzt den Afrikaner versorgt und Vierzigers Grundstück verlassen hat, macht sich Vierziger sogleich auf zum Strand, um nach der Ehefrau zu suchen. Und er findet sie auch.

Im Laufe seiner Zeit bei der Mordkommission hatte er schon die eine oder andere Leiche gesehen und war daher so einiges gewohnt. Aber selbst der tote Körper des verstümmelten Mädchens aus dem letzten Fall, bevor er den Dienst quittiert hat, war in einem besseren Zustand gewesen. Er sprang an den Rand der Böschung und entleerte seinen Magen.

Diese Leiche wird nicht die einzige sein, die der Major im Laufe des Krimis findet. Trotz zahlreicher eindeutiger Warnungen – von verbalen bis zu körperlichen Attacken – beginnt Vierziger seiner Nase zu folgen und kommt nicht nur einem Verbrechen, sondern gleich mehreren auf die Spur. Und er gerät zwangsläufig immer mehr in die Gestade der hiesigen Mafia, der Sacra Corona Unita. Und zwei Dinge werden ihm bald klar: Erstens: Er braucht Unterstützung von der Polizei. Zweitens: Diese ist von seinen Recherchen gar nicht so erbaut.

Ein krimineller Supermarkt

Bei jedem Stein, den Vierziger umdreht, kommt mehr zu tage, als einem lieb sein kann: Verschleppte Mädchen, Menschenhandel und Gläser mit Tomatensauce, in denen im großen Stil Drogen transportiert werden. Die Verbrechen unter der italienischen Sonne sind vielschichtig – ein krimineller Supermarkt sozusagen. Aber Vierziger ist ein alter Hase und lässt sich seine Ruhe nicht nehmen. Mit nicht immer ganz legalen Methoden trickst er nicht nur mafiöse Schläger, sondern auch die Carabinieri aus.

Was ein Trullo ist, musste ich erst googeln. Ich spreche auch kein Italienisch, noch war ich je weiter südlich von Venetien. Trotz allem erzeugt Lemarks Beschreibungsstil ein wunderbar komplettes Bild vom italienischen Setting, in dem der liebenswerte Kommissar aus Oberösterreich ermittelt. Kürzere Dialoge sind oft in italienischer Sprache angeführt, was die Vorstellungskraft von Land und Leute noch weiter ankurbelt. Keine Sorge, ein Touristen-Italienisch reicht völlig aus, um diese zu verstehen. Die ausgewogene Balance zwischen Krimi und die bildhaften Beschreibungen von Charakteren und Schauplatz machen die Geschichte lesenswert. Lemark überfrachtet den Roman weder mit sozialkritischen Aspekten der Flüchtlinge in Italien, noch mit Vierzigers Kochleidenschaft. (Für interessierte Hobby-Köche, führt Lemark im Anhang drei regionale Rezepte an). Es ist der Mix aus Spannung und Lokalorit, was diesen Krimi lesenswert und sehr gelungen macht.